„Es zeigen sich ganz überraschende Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Krankheitsbildern“
Interview mit Prof. Dr. Roland Jahns zu den ethischen Herausforderungen im Biobanking und das Konzept des "broad consent"
Prof. Dr. Roland Jahns
Dezember 2013. Prof. Dr. Roland Jahns ist Direktor
der Interdisziplinären Biomaterial- und -Datenbank Würzburg (ibdw) und stellvertretender
Vorsitzender der Ethik-Kommission bei der Medizinischen Fakultät der
Universität Würzburg. Außerdem arbeitet er in der Arbeitsgruppe Biobanken des
Arbeitskreises Medizinischer Ethik-Kommissionen mit. Im Gespräch mit der TMF im
Rahmen des 2. Nationalen Biobanken-Symposiums 2013 berichtet er über die
ethischen Herausforderungen der modernen Biobanken-Forschung und über die
Entwicklung vom informed zum broad consent.
Herr Professor Jahns, wie sind Sie dazu gekommen, sich so intensiv mit
ethischen Fragen zu beschäftigen?
Ich bin vor fast zehn Jahren eher so in das Thema
hineingerutscht, als unsere Ethik-Kommission einen Kardiologen als
Fachgutachter brauchte. In der Arbeit in dieser noch jungen und sehr
dynamischen Kommission habe ich gesehen, welche ethischen Konflikte manchmal
auftreten können und wie wichtig es ist, sich damit auseinanderzusetzen.
Etwas später habe ich dann selbst Studienkonzepte mit den
zugehörigen Informations- und Einwilligungsunterlagen entwickelt und sozusagen
am eigenen Leibe erlebt, woran man alles denken muss. Da in einer der Studien
auch Biomaterialien gesammelt wurden, habe ich angefangen, mich auch dafür mit
den erforderlichen Einwilligungsmaterialien zu beschäftigen.
Als dann die Ausschreibung des BMBF kam für die
zentralisierten Biobanken, konnten wir auf diesen Erfahrungen bereits aufbauen.
Ab dem Zeitpunkt haben wir uns auch in der Ethikkommission mit dem Thema
intensiv beschäftigt. Uns war klar, dass wir uns etwas überlegen müssen, wenn
wir Biomaterialien prospektiv sammeln wollen für einen Forschungszweck, den wir
heute noch gar nicht wissen können. Dazu haben wir ethische
Grundsatzdiskussionen geführt, auch schon bevor der Deutsche Ethikrat 2010
seine Stellungnahme zu dem Thema veröffentlicht hat.
In dieser Zeit bin ich auch auf die TMF und ihre
unterstützenden Dokumente gestoßen. Letztlich aber, und das ist das Spannende,
ist es dann doch die Kommission, die in intensiven Diskussionen mit den
unterschiedlichsten Standpunkten sich gemeinsam zu irgendwas durchringt.
Ich habe in der Zeit die Ethik-Kommission für ein Jahr
geleitet und habe mich sehr intensiv in die Literatur eingearbeitet. Darüber
bin ich dann auch vorgeschlagen worden für diese Arbeitsgruppe Biobanken beim
Arbeitskreis medizinischer Ethik-Kommissionen.
Was sind denn heute die großen ethischen Herausforderungen an die
Biobanken-Forschung?
Schwierig ist, wie gesagt, die prospektive Sammlung von
Materialien. Für retrospektive Nutzung von Proben oder Altmaterialien gibt es
etablierte Lösungen. Wenn die Patienten gebeten werden, in die Nutzung der
Materialien für ein spezifisches Projekt nach entsprechender Aufklärung einzuwilligen,
stimmen die Ethik-Kommission in der Regel zu.
Aber wenn ich prospektiv sammele, kann ich dem Patienten zum
Zeitpunkt der Probenentnahme noch nicht sagen, was wir damit machen wollen.
Gerade bei Fakultäts-übergreifenden Biobanken wie den zentralisierten Biobanken
wird man die künftige Forschung nicht einmal auf ein bestimmtes
Indikationsgebiet beschränken wollen. Warum sollte ich denn dem Psychiater die
Möglichkeit vorenthalten, Herzinfarktseren zu untersuchen oder umgekehrt? Wir
haben dafür neue Texte für die Information und Einwilligung des Patienten
erarbeitet. Es gibt aber immer noch Diskussionen hierzu, und es ist schwierig,
alle Vorbehalte abzubauen.
Ein weiteres großes Problem ist der Umgang mit
Zufallsbefunden. Auch der Arbeitskreis medizinischer Ethik-Kommissionen befasst
sich ja mit diesem Thema. Ich denke da beispielsweise an psychiatrische
Forschung, die heute immer mehr en vogue ist. Bisher wissen wir bei 90 Prozent
aller Befunde aus der Gendiagnostik noch nicht, ob sie wirklich klinisch
relevant sind. Wenn wir aber die genetischen Determinanten haben, wie gehe ich
dann beispielsweise mit der Information um, dass bei einem Probanden vielleicht
eine gewisse Tendenz besteht, eine Schizophrenie, eine Depression oder
Alzheimer zu entwickeln?
Bisher basierte die Einwilligung der Patienten auf dem Prinzip des informed consent. Dieser wird nun zu
einem broad oder open consent weiterentwickelt. Was bedeutet das?
Das Problem des informed
consent ist, dass man genau beschreiben muss, was man mit den Materialien
und Daten machen will. Das fordern wir in der Ethik-Kommission in der Regel,
wenn Blut im Rahmen von industriellen klinischen Studien beiseite gelegt werden
soll – auch die Pharmaindustrie legt immer häufiger selbst kleine
Biomaterialsammlungen an – denen versuchen wir schon zu sagen, sie sollen sich
beschränken auf ihr Indikationsgebiet.
Aber wir sammeln ja – und das macht eine Biobank wertvoll –
über zehn, zwanzig Jahre Biomaterial und zugehörige klinische Daten. Wenn wir
dann irgendeinen neuen oder einen noch sensitiveren Biomarker entdecken, können
wir in unserer Sammlung retrospektiv den Wert dieses Markers überprüfen.
Broad consent oder
open consent sind praktisch Synonyme
für eine nicht eng gefasste Einwilligung. Das heißt, dass ich gar nicht sage,
in welche Richtung mit diesem Material geforscht wird – ob das nun ein Onkologe
untersuchen wird oder ein Kardiologe und mit welchem Ziel, das soll offen sein.
Es zeigen sich ja ganz überraschende Zusammenhänge zwischen den verschiedenen
Krankheitsbildern. Um diese zu entdecken, weiter zu erforschen und möglichst
für die Diagnose und Therapie nutzbar zu machen, ist ein broad consent notwendig.
Das erfordert auf der anderen Seite – und darauf hat auch der
Deutsche Ethikrat hingewiesen – eine ganze Reihe von Schutzmaßnahmen. Ein
wesentliches Element ist die jederzeitige Widerrufbarkeit. Dabei müssen wir sicherstellen,
dass wir die Materialien eines Patienten oder Probanden auch wirklich vernichten
können, wenn er widerruft. IT-technisch ist das ziemlich aufwändig.
Auch Transparenz ist wichtig. Für uns bedeutet das vor allem,
im Rahmen der Außendarstellung zu zeigen, welche Forschungsprojekte wir
bearbeiten. Es geht dabei vor allem um Glaubwürdigkeit, damit der Spender
sicher ist und darauf vertrauen kann, dass mit seinem Material etwas
Vernünftiges gemacht wird.
Der Spender muss auch wissen, dass Sicherungsmaßnahmen da
sind wie eine Ethik-Kommission. Wir sammeln ja erst mal unter einem broad consent, aber die Herausgabe wird
dann jeweils für ein spezifisches Forschungsprojekt von der Ethik-Kommission
und von einem Fachgremium geprüft.
Das sind die Schutzmechanismen, die um einen solchen broad consent gebaut werden müssen. Wir
haben versucht, dies im Arbeitskreis medizinischer Ethik-Kommissionen
abzustimmen und im Mustertext einen kleinsten gemeinsamen Nenner formuliert,
mit dem sich alle Ethik-Kommissionen einverstanden erklären können. Das ist in
Deutschland völliges Neuland.
Welche Schritte haben Sie mit Ihrer Biobank in Würzburg bisher unternommen,
um Transparenz herzustellen und Vertrauen zu gewinnen?
Wir haben es zum Beispiel geschafft, einen Tag der offenen
Biobanken zu veranstalten mit relativ gutem, aber natürlich lokalem Zuspruch.
Wir waren auf Messen vertreten, auch wirklich mit sehr viel Resonanz am Stand,
eher in die Gefahr laufend, dass viele dann spontan Proben spenden wollten, was
in unserem speziellen Fall so nicht funktioniert, da wir nur Proben aus unserem
Klinikkontext sammeln.
Ich bin aber der Meinung, dass diese Öffentlichkeitsarbeit
schon im Vorfeld einer Erkrankung der Menschen einsetzen muss. Und insofern ist
es unser Ehrgeiz, überhaupt erst einmal bekannt zu machen, was eine Biobank
ist, was die Ziele sind, was das eventuell später mal bringen kann – Schlagwort
spezifischere Therapien, möglicherweise weniger Nebenwirkungen oder auf mich
zugeschnittene Therapien, die besonders gut bei mir wirken aufgrund meines
Biomarker-Profils. Ich glaube schon, dass sich langfristig daraus extreme
individuelle Vorteile ergeben. Das muss man versuchen zu transportieren.
Ich fange jetzt persönlich schon an mit Schulklassen, wo wir
uns vor allem an Oberstufenschüler und ihre Lehrer richten. Wir überlegen jetzt
sogar, einen Parcours auszuarbeiten, mit kleinen Aufgaben. Das war ein
Vorschlag von der Lehrerschaft selber.
Auf jeden Fall sollte der Wissensstand der Bevölkerung über
solche Biobanken dringend erhöht werden. Mit dem besseren Wissen können
insbesondere auch Ängste abgebaut werden. Das geht nur über Transparenz und den
Aufbau einer Vertrauensbeziehung.
Die Forderung geht ja noch weiter: Biobanken sollten Probanden als
Ko-Manager ihrer Daten begreifen. Ist das realistisch und wie könnte das
aussehen?
Bei der UK Biobank geht es zum Beispiel immerhin so weit,
dass der Proband sehen kann, welche Projekte mit seinen Biomaterialien
arbeiten. Der Spender kann sich bei der Biobank einloggen und zumindest schon
mal sehen, wo und wie das Material verwendet wird. Das ist bei einer Biobank im
klinischen Kontext schon viel schwieriger, und wir sind auch noch lange nicht
so weit.
Allerdings zu fordern, dass der Patient oder Proband dann für
jedes dieser Projekte spezifisch einwilligen muss, ist aus meiner Sicht
logistisch überhaupt nicht zu stemmen. Ich glaube, das sprengt auch den Rahmen
selbst von sehr interessierten und informierten Patienten. Dafür gibt es
letztendlich auch die Gremien innerhalb einer Biobank, die interdisziplinär
zusammengesetzt sind, die auch Laienmitglieder haben und die prüfen, ob ein
bestimmtes Forschungsprojekt die Proben nutzen darf. Die Ethik-Kommission
versteht sich sozusagen als Schutzwall vor dem Patienten, und da muss der
Patient dann schon drauf vertrauen.
Wenn man davon ausgeht, dass der Proband oder Patient möglicherweise doch
gar nicht alles bis ins letzte Detail wissen möchte, dann könnte man dem
Argument folgen, auf der Makroebene nicht zu viel zu regeln, sondern das dem
Aushandeln zwischen Biobank und Spender zu überlassen…
Das ist völlig richtig. Im Grunde brauchen wir überhaupt
keinen informed consent. Der Spender kann
eigentlich selber entscheiden, bis zu welchem Grad er überhaupt informiert
werden will und auch, ob er eine Rückmeldung haben will. Es gibt ja das
Grundrecht auf Nichtwissen, und das müssen wir natürlich auch gewährleisten.
Das Problem ist auch hier wieder ein Logistisches.
Im Mustertext der Arbeitsgruppe Biobanken des Arbeitskreises
medizinischer Ethik-Kommissionen empfehlen wir, dass Biobanken ihr Konzept –
also wie eng oder breit der consent
gefasst ist – von ihrer Ausrichtung abhängig machen. Damit gibt der Mustertext
die Möglichkeit der Varianz in den Konzepten der Biobanken vor. Eine Biobank,
die sehr spezifisch aufgestellt ist, könnte die Einwilligung eher auf das
Forschungsgebiet beschränken, aber zum Beispiel die zentralisierten Biobanken,
die ja gerade die Aufgabe haben, fächerübergreifende Konzepte für die gesamte
Fakultät zu erarbeiten, wäre eine solche Begrenzung nicht sehr sinnvoll. Und
der Spender wahrt seine Autonomie, indem er einer Nutzung seiner Materialien zu
den jeweiligen Bedingungen zustimmt – oder eben nicht.
Herr Jahns, wir danken für das Gespräch.
Das Interview führte Antje Schütt.
Weiterführende Links
- Pressemitteilung zum Biobanken-Symposium 2013
- Download Mustertext zur Spende, Einlagerung und Nutzung von Biomaterialien sowie zur Ergebung, Verarbeitung und Nutzung von Daten in Biobanken (AG Biobanken, Arbeitskreis medizinischer Ethik-Kommissionen)
- Eröffnung der ibdw (Juni 2013)
- AG Biomaterialbanken der TMF