„Wir wollen die Versorgungsforschung in der Akutmedizin verbessern“
Dr. Rainer Röhrig im Interview über das im November 2013 gestartete BMBF-Verbundforschungsprojekt zum Aufbau eines Nationalen Notaufnahmeregisters.
Dr. Rainer Röhrig
November 2013.
Anhand von Daten aus der Notfallmedizin werden Gefahren für die
öffentliche Gesundheit, wie etwa der Ausbruch von ansteckenden
Infektionskrankheiten, sehr frühzeitig erkennbar. Dennoch stehen diese Daten bislang
auf Bundes- und Landesebene weder in ausreichendem Umfang noch in ausreichender
Qualität zur Verfügung. Wissenschaftliche Untersuchungen im Rahmen der
Versorgungsforschung sind deshalb aktuell kaum möglich. Mit dem Aufbau eines
Notaufnahmeregisters im Rahmen des Verbundforschungsprojekts „Aktionsbündnis
für Informations- und Kommunikationstechnologie in Intensiv- und Notfallmedizin“
(AKTIN) soll sich das ändern. Dr. med. Rainer Röhrig (Universitätsklinikum
Gießen) ist neben Prof. Dr. Felix Walcher (Goethe Universität Frankfurt a.M.)
Hauptantragsteller des Projekts, an dem auch die TMF beteiligt ist. Im
Interview erläutert er die Projektziele und das Konzept für die IT-Infrastruktur, die eine gesetzeskonforme
Versorgungsforschung anhand der notfallmedizinischen Daten gewährleisten soll.
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Das Interview führte Beate Achilles. Es erscheint auch in
der Zeitschrift E-Health-COM 6 | 2013.
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Warum brauchen wir ein nationales Notaufnahmeregister?
Die in den Notaufnahmen der
Kliniken gesammelten Daten sind für die verschiedensten Register und auch für eigene
Forschungsfragestellungen innerhalb der Notfallmedizin interessant. In der
Notaufnahme gibt es aber die unterschiedlichsten Vorgehensweisen bei der
Dokumentation, was die Zusammenführung und Auswertung der Daten erschwert. Durch
den Aufbau des nationalen Notaufnahmeregisters wollen wir all diese Daten für die Versorgungsforschung in der Akutmedizin verfügbar machen.
Wie wollen Sie das im
Projekt konkret umsetzen?
Die Sektion
Notaufnahmeprotokoll der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv-
und Notfallmedizin (DIVI) hat unter der Leitung von Prof. Dr. Felix Walcher ein
Protokoll für eine standardisierte, strukturierte Dokumentation in der Notaufnahme
entwickelt. Ein Hauptziel des Projektes ist die Umsetzung dieses Notaufnahmeprotokolls
in der Praxis. In jeder Notaufnahme, die am Projekt beteiligt ist, soll am Ende
für alle Patienten ein digitales Dokument im HL7 CDA Standard zur Verfügung
stehen. Alle beteiligten Krankenhäuser sollen
außerdem die gleichen Parameter und Bezeichnungen für zu erfassende klinische
Werte nutzen. Diese sollen auf den international akzeptierten Standardterminologien
beruhen, wie beispielsweise LOINC und SNOMED.
Warum die internationale Ausrichtung?
Wir wollen in Zukunft
auch internationale Vergleiche ermöglichen. Es gibt bereits Kontakte zu Polen
und anderen europäischen Staaten, die Interesse an einem Notaufnahmeprotokoll
haben. Da macht es Sinn, möglichst frühzeitig auf internationale Standards zu
setzen, damit die Daten irgendwann einmal vergleichbar werden.
Wie gelangen die Daten
in das Register?
Jedes beteiligte Krankenhaus richtet ein lokales
Notaunahmeprotokoll-Data-Warehouse ein. Dieses importiert über HL7 V2.x oder HL7
CDA das Notaufnahmeprotokoll, sodass nach Beendigung der Behandlung in der
Notaufnahme die dort erfassten Daten im Data-Warehouse lokal gespeichert
werden. Dort kann man auch Werte, die nicht manuell erfasst wurden, wie
beispielsweise Laborwerte, ggf. noch zu einzelnen Patienten ergänzen.
Und diese Data-Warehouses
lassen sich dann zentral abfragen?
Die Datenhaltung wird
dezentral sein, während die Abfrage zentral über das Register erfolgt. Für den
Aufbau der dezentralen IT-Infrastruktur gibt es bereits eine IT-Architektur,
die von der Sektion Medizinische Informatik in Anästhesie und Intensivmedizin
der Justus-Liebig-Universität Gießen entwickelt wurde und im Rahmen des
Vorhabens implementiert wird.
Die Daten bleiben nach
diesem Konzept in den einzelnen Kliniken. Erfolgt eine Anfrage für eine
wissenschaftliche Fragestellung über das nationale Notaufnahmeregister, so
werden unter Wahrung des Datenschutzes nur die erforderlichen Daten
zusammengeführt. Es wird ein von den beteiligten Kliniken eingesetztes Steuerungskomitee
geben, das entscheidet, wann eine solche Abfrage zu unterstützen ist und wann
nicht. Die Entscheidungskriterien hierfür legen die Kliniken selbst fest. Zusätzlich
wird es ein Ethikvotum geben. Nur wenn beide Gremien ein zustimmen, darf die
Abfrage durchgeführt werden. Eine zentrale Stelle wird dann die Abfrage
formulieren, bevor sie an die Krankenhäuser geschickt wird.
Auch die Datenlieferung wird nicht direkt erfolgen. Sie
geht über eine Vertrauensstelle, eine Art Informationbroker, wo die Daten erst
einmal gesammelt und gepoolt werden können, um ihre Herkunft zu verschleiern.
Sind in diese
Architektur Datenschutzkonzepte der TMF eingeflossen?
Das Konzept des Informationbroker stammt nicht von der
TMF. Deren Datenschutzkonzepte sind ja immer sehr konkret und setzen eine
Patientenzustimmung innerhalb von klinischen Studien voraus. Im AKTIN-Projekt wollen
wir hingegen mit wirklich anonymisierten Daten arbeiten. Dennoch steckt an vielen Stellen Know-how der TMF im Projekt.
Das fängt an bei einem Tool für die k-Anonymisierung und l-Diversifizierung an. Die Idee zu den dezentralen
Abfragen ist in dem Projekt EHR4CR entstanden, an dem auch die TMF beteiligt
ist. Allerdings ist diese Idee – wie das bei guten Ideen oft der Fall ist – zu einem bestimmten Zeitpunkt in
verschiedenen Köpfen gleichzeitig entstanden. Der permanente Gedankenaustausch war dabei der treibende Faktor. In der
Medizininformatik haben wir ja kaum einmal die Chance, ein Rad neu zu erfinden
und damit den Nobelpreis zu gewinnen. Mit der TMF gibt es in Deutschland eine
absolut kreative Plattform, die es ermöglicht, dass Ideen die zeitgleich an verschiedenen Stellen entstehen
durch den Austausch der Fachleute unter einem Dach zu Lösungen katalysiert und zu
Community-Ideen werden können. Dies bringt den Forscher, vor allem aber auch
die Forschungsinfrastruktur voran!
Herr Dr.
Röhrig, wir danken für das Gespräch!
Dr. med. Rainer Röhrig
ist Arzt und Medizininformatiker in der Sektion Medizinische Informatik in
Anästhesiologie und Intensivmedizin der
Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie der
Justus-Liebig-Universität Gießen.