„Das ganze Konstrukt muss funktionieren, nicht nur die Einzelkomponente“
Interview mit Prof. Dr. Ulrich Sax zum ersten Bericht des IT-Reviewing Board der TMF
Prof. Dr. Ulrich Sax (Georg-August-Universität Göttingen)
Januar
2014. „Medizinische Forschungsprojekte sollten nicht weitere IT-Anwendungen
programmieren, sondern die bereits bestehenden guten Lösungen nutzen und ihre
Ressourcen vor allem für eine sinnvolle Integration dieser Komponenten in das
IT-Gesamtkonzept nutzen. Das ist nicht trivial. Man darf die Frage nicht allein
auf technischer Ebene betrachten, sondern muss immer das Dreieck Technik –
Recht – Organisation im Blick haben. Das ganze Konstrukt muss funktionieren!“
Prof. Dr. Ulrich Sax (Universitätsmedizin Göttingen) ist Mitglied im 2012
eingerichteten IT-Reviewing Board der TMF, das jährliche Bestandserhebungen und Bedarfsermittlungen zur
IT-Infrastruktur der patientenorientierten Forschung vorlegt.
Herr Professor Sax, was war die Motivation einen
solchen jährlichen Bericht zu initiieren?
In der Arbeitsgruppe IT-Infrastruktur und Qualitätsmanagement der TMF erleben wir regelmäßig Projektassistenten, die das
Rad neu erfinden wollen. Mit ihren aktuellen technologischen Kenntnissen wollen
sie Lösungen entwickeln, die es bereits gibt. Dabei übersehen sie auch häufig,
dass Technik nur eines der Probleme ist, die bei der Konzeption einer
IT-Umgebung für einen Forschungsverbund zu lösen sind. Daneben geht es sehr
stark auch um organisatorische und rechtliche Fragen.
Inwiefern gibt der IT-Report Neulingen eine
Hilfestellung?
Sie können sich hier einen kurzen Überblick über
die existierenden Systemfamilien in der vernetzten biomedizinischen Forschung verschaffen. Bei der Auswahl der
Technik können sie den aktuellen Stand im Report nachschlagen, sortiert nach den verschiedenen Datenquellen.
Wir haben dazu noch weitergehende Quellenangaben gemacht, so dass man einzelne
Bereiche vertieft nachlesen kann. Wer also auf dieser Ebene vor der Frage steht: „Was
ist konkret vorhanden und was kann ich einsetzen?“ findet hier schnell und
zuverlässig eine Antwort.
Gibt es weitere Zielgruppen?
Der IT-Report richtet sich an alle Personen, die
sich mit der Beurteilung von Infrastruktur in der vernetzten klinischen
Forschung beschäftigen. Das sind einerseits Geschäftsführer oder deren Mitarbeiter
von Forschungsverbünden, die über IT-Investitionen entscheiden. Aber auch
Inspektoren der Aufsichtsbehörden sind eine mögliche Zielgruppe und nicht zuletzt
die Förderer. Sie müssen fortwährend Anträge begutachten und einschätzen. Ihnen
geben wir mit dem IT-Report eine hervorragende Referenz an die Hand, in der sie
nachsehen können, wie der aktuelle Stand
im IT-Bereich aussieht. Auch können Förderer dem IT-Report entnehmen, wo eventuell
noch Förderprojekte fehlen.
Welche konkreten Themen behandelt der Bericht?
Der Report liefert eine Bestandserhebung und den
daraus abgeleiteten Handlungsbedarf. Entsprechend der logischen Reihenfolge
widmen wir den ersten Band den Primärdatenquellen. Die Schwerpunkte dieses
ersten Berichts liegen auf den Modulen Identitätsmanagement, klinische Studien,
Register, Kohorten und Data Repositories, Bildverarbeitung, Biobanken und
mobile IT-Werkzeuge. Der Report zeigt, dass die Primärdatenquellen schon recht
ausgereift sind. Es gibt bereits validierte, kommerzielle Open Source Software
für klinische Studien. Auch für Register existieren sehr gute Lösungen. Der
Band macht deutlich, dass man Primärsysteme auf gar keinen Fall selbst
programmieren, sondern auf existierende
Erfahrungen und Produkte zurückgreifen sollte. Für deren Auswahl bietet der
Report eine sehr gute Hilfestellung. In den nächsten Bänden wollen wir
beschreiben, diskutieren und konzeptionieren, wie diese Systeme
zusammenarbeiten sollten.
Umfasst die Erhebung auch die IT der Deutschen
Zentren der Gesundheitsforschung (DZG)?
Im Kapitel über Biobanken gibt der IT-Report
konkret Auskunft über die bei den DZG eingesetzte
Biomaterialverwaltungssoftware. Aber insgesamt haben wir die DZG noch nicht
systematisch befragt, da die Zentren zum Teil mit dem Aufbau ihrer IT-Systeme
noch nicht weit genug fortgeschritten sind. Die IT-Konzepte reifen dort
sukzessive. In absehbarer Zeit wird man daraus jedoch wertvolle Erkenntnisse
ziehen können.
Die DZG sind wichtige Meilensteine, um
festzustellen, wie weit die IT in der vernetzten klinischen Forschung
tatsächlich fortgeschritten ist, welche
Konzepte schon umgesetzt wurden und welche man in einer abgewandelten,
verkleinerten und angepassten Form auch an anderer Stelle sinnvoll nutzen
könnte. Wir sind sehr daran interessiert, zukünftig einen Überblick über die
von den Zentren eingesetzte IT geben zu können. Denn dies hat natürlich eine
Signalwirkung und wird aufgrund der Größe der Zentren auch gewisse
Richtungsentscheidungen beeinflussen.
Was sagt der Bericht über Biobanken? Welche
Softwarelösungen sind dort im Einsatz?
Das Kapitel zu Biobanken betrachtet die
Softwareprodukte, die zur Verwaltung der Biomaterialien und der Lagerressourcen
dienen. Dazu gehört vor allem die Dokumentation der Lager- und
Qualitätsparameter jeder einzelnen Probe. Der Bericht zeigt, dass an den
universitären Standorten hierfür vermehrt kommerzielle Produkte eingesetzt oder
für den Einsatz vorbereitet werden. Durch den von der TMF mitmoderierten
Erfahrungsaustausch in der Auswahl- und Beschaffungsphase hat sich eine
Fokussierung auf zwei kommerzielle Anbieter ergeben.
Um eine generelle Aussage über die Verbreitung von
Biomaterialverwaltungssoftware in Deutschland treffen zu können, wurden die vom
BMBF geförderten zentralisierten Biobanken, die von der Deutschen Krebshilfe
geförderten Comprehensive Cancer Center Biobanken und die vom BMBF geförderten
deutschen Zentren für Gesundheitsforschung befragt. Der Bericht gibt konkrete
Auskunft über die dort jeweils im Einsatz befindliche
Biomaterialverwaltungssoftware.
Welche Herausforderungen stellen sich?
Eine Zukunftsaufgabe für die IT von Biobanken sind komplexe
Anpassungen und Erweiterungen für die Anbindung und Ansteuerung von
automatisierten Systemen. Auch die Einrichtung von Schnittstellen zu
IT-Systemen der Krankenversorgung und zu Robotersystemen steht auf der Agenda.
Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Aussagen
des Berichts?
Zu den wesentlichen Erkenntnissen gehört, dass die
Einzelkomponenten durchaus reif und gut sind. Auf keinen Fall sollte man jetzt
noch ein weiteres Studienmanagement- oder Bildverarbeitungssystem bauen,
sondern die fertigen Komponenten nutzen. Die andere Erkenntnis ist, dass man
diese Einzelkomponenten sinnvoll miteinander integrieren muss – und das ist
nicht trivial. Man darf diese Frage nicht allein auf technischer Ebene
betrachten, sondern muss immer das Dreieck Technik - Recht - Organisation im
Blick haben. Das ganze Konstrukt muss funktionieren, nicht nur die
Einzelkomponente.
Wie geht es mit dem IT-Report weiter?
Das IT-Reviewing Board der TMF wird den
Bericht zukünftig jährlich aktualisiert
herausbringen, mit jeweils anderen Schwerpunkten. Nach dem Überblick über die
Primärsysteme wird es im nächsten Band um die sinnvolle Zusammenarbeit der Komponenten gehen. Dabei soll der Bereich der
Versorgungsforschung und der Sekundärnutzung von medizinischen Versorgungsdaten
beleuchtet werden.
Wo ist der Bericht erhältlich?
Die Druckversion kann man direkt bei der TMF bestellen oder über
Buchhandel. Es gibt zusätzlich eine elektronische Fassung, die kostenfrei von
der TMF-Homepage heruntergeladen werden kann. TMF-Mitglieder erhalten ein Freiexemplar des IT-Reports per Post.
Herr Prof. Sax, wir danken Ihnen für das Gespräch!
Prof. Dr.
rer. nat. Ulrich Sax ist Professor für Medizinische Informatik an der
Georg-August-Universität Göttingen und Leiter des Geschäftsbereichs IT der Universitätsmedizin Göttingen, Mitglied des IT-Reviewing Boards der TMF
und Sprecher der TMF-Arbeitsgruppe IT-Infrastruktur und Qualitätsmanagement (AG
IT-QM).
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Download des IT-Reports "IT-Infrastrukturen in der patientenorientierten Forschung" [pdf | 1,4 MB]
- Download der Management-Summary [pdf | 73 kb]
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News/Pressemitteilung zum IT-Report vom 29.01.2014