„Medizinische Fakultäten müssen zu zentralen Trägern wissenschaftlicher Infrastrukturen werden“
Interview mit Prof. Dr. Heyo K. Kroemer, Präsident des Medizinischen Fakultätentages (MFT)
Prof. Dr. Heyo K. Kroemer
März 2014. Leistungsfähige Infrastrukturen sind ein zentraler
Erfolgsfaktor für jede Form
wissenschaftlicher Forschung. Die universitäre Medizin
stößt an dieser Stelle jedoch
zunehmend an ihre Grenzen, insbesondere im Vergleich zu
außeruniversitären
Einrichtungen, die
finanziell und personell in der Regel besser aufgestellt sind. Im Vorfeld
seiner Keynote zum Thema Forschungsinfrastrukturen beim TMF-Jahreskongress 2014 erläutert Professor Dr. Heyo K. Kroemer, wie
Fakultäten, Politik und Förderer hier gegensteuern könnten.
Herr Professor Kroemer, bei Infrastrukturen denkt man erst mal
an Gebäude und große Maschinen, dann auch an Forschungs-IT. Was fällt noch
unter diesen Begriff?
Die
Forschungsinfrastrukturen in der Medizin umfassen ein großes Spektrum an
Einrichtungen. Dazu zählen beispielsweise Labore, Rechenzentren, Software, Biobanken, Datenbanken und Register,
um nur einige zu nennen.
Warum
werden leistungsfähige Infrastrukturen heute für eine erfolgreiche
translationale Forschung
in der Medizin immer wichtiger?
In der medizinischen Forschung haben wir es mit sehr
komplexen Fragestellungen zu tun. Wenn Sie beispielsweise die Ursachen von
seltenen Erkrankungen aufklären oder Therapieansätze bei bestimmten Krebsarten
finden wollen, müssen Sie Gewebeproben in großer Zahl hinsichtlich ihres Genoms
miteinander vergleichen. Das sind gigantische Datenmengen, die nur mit
modernsten Methoden, wie etwa der Hochdurchsatzsequenzierung zu bewältigen
sind.
Dafür werden leistungsstarke Rechenzentren, anspruchsvolle Software und –
ganz wichtig – ein professionelles
Qualitätsmanagement sowohl hinsichtlich der Proben als auch der dazugehörigen Daten benötigt. Ob und mit welchem Zeitaufwand Sie also belastbare
Antworten auf drängende Forschungsfragen in der Medizin erhalten, hängt davon
ab, dass alle diese Faktoren gut zusammenspielen.
Wie
gut ist die medizinische Forschung an Deutschlands Universitäten im Bereich der
Infrastrukturen aufgestellt?
Da die Universitäten aus den Landeshaushalten
finanziert werden, sind sie für wichtige Infrastrukturaufgaben finanziell
unzureichend ausgestattet. Die medizinischen Fakultäten bemühen sich deshalb seit
Jahren darum, das Problem im Rahmen von Drittmittelprojekten wie den Kompetenznetzen
in der Medizin, den Integrierten Forschungs- und Behandlungszentren, den
Exzellenzclustern oder den Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung zu lösen.
Durch dieses Nebeneinander verschiedener Projekte entstehen jedoch
Insellösungen, die zum Beispiel im Bereich der Forschungs-IT zu inkompatiblen
Hard- und Softwarekomponenten, heterogenen Datenbeständen und uneinheitlichen
Zuständigkeiten geführt haben. Daraus resultieren Ineffizienz und Intransparenz,
die die strategische Entwicklung der Fakultäten erschweren.
Sind
die Fakultäten hinsichtlich ihrer Forschungsinfrastruktur für den härter
werdenden Wettbewerb um europäische Mittel gerüstet und wettbewerbsfähig?
Deutschland befindet sich hinsichtlich der
Unterstützung universitärer Forschung in einer riskanten Schieflage. Die Universitäten stehen permanent unter
Druck, eine sinkende Grundfinanzierung durch die Einwerbung von Drittmitteln
auszugleichen. Der Wissenschaftsrat hat
sich deshalb mehrfach dafür
ausgesprochen, die Hochschulen in größerem Umfang als bisher als Träger von
Wissens- und Informationsinfrastrukturen zu berücksichtigen. Auch die DFG verstärkt
mit ihrem Informationsportal zu Forschungsinfrastrukturen und mit ihrem neuen
Förderprogramm „Informationsinfrastrukturen für Forschungsdaten“ ihr Engagement
in diesem Bereich. Bei all diesen Bemühungen wird es jedoch darauf ankommen,
die medizinischen Fakultäten neben den außeruniversitären Einrichtungen als zentrale
Träger wissenschaftlicher Infrastrukturen aufzubauen. Eine nachhaltige Lösung
der Infrastrukturproblematik wird nur gelingen, wenn die Hochschulen durch eine
verstärkte Grundfinanzierung den außeruniversitären Einrichtungen als wissenschaftliche
Partner „auf Augenhöhe“ begegnen können.
Was
kann eine Fakultät beim Aufbau und Betrieb von Infrastrukturen alleine leisten
und wo braucht sie Kooperationen und Unterstützung?
Aus eigener Kraft könnten
die medizinischen Fakultäten meines Erachtens zweierlei Maßnahmen treffen: Zum
einen müssten alle Wissensinfrastrukturen, die aus drittmittelgeförderten Forschungsprojekten
hervorgegangen sind, im Rahmen eines
hochschulweiten Strategiediskurses evaluiert werden. Dabei wäre das Ziel, festzustellen, ob und wie sie
zur Weiterentwicklung der Forschungsschwerpunkte der jeweiligen Fakultät, beziehungsweise
Hochschule, beitragen. Parallel dazu sollte die Universitätsmedizin ihre wissenschaftlichen
Ressourcen bündeln und standortübergreifende Entwicklungen vorantreiben.
In den vergangenen Jahren sind in Verbundprojekten viele Kooperationen und Infrastrukturen für die medizinische
Forschung entstanden. Wie spielen die Infrastrukturanteile der Verbundprojekte mit
den lokalen Infrastrukturen der Unis zusammen?
Ich sehe hier bereits gute Ansätze für Synergien, beispielsweise
zwischen den Universitäten und den Deutschen
Zentren für Gesundheitsforschung, die man in Zukunft weiter ausbauen sollte.
Medizinische Fakultäten und Zentren sollten darauf achten, sich gut miteinander
abzustimmen.
Die
patientenorientierte medizinische Forschung erfordert zunehmend Kooperation und gute
Vernetzung. Sind die Wissenschaftler an den medizinischen
Fakultäten für diese Anforderungen
gerüstet? Was könnte sie dabei unterstützen?
Wissensinfrastrukturen erfordern Personal mit hoher
methodischer Kompetenz. Realität ist jedoch, dass es in Deutschland in der
Medizininformatik, Biometrie, Epidemiologie und Bioinformatik an geeigneten
Nachwuchskräften mangelt. Hier müssen Bund und Länder gemeinsam geeignete Aus- und
Weiterbildungsangebote schaffen und ausbauen. Auch Angebote wie die jährliche
TMF School leisten an dieser Stelle einen wertvollen Beitrag.
Was werden die Kernaussagen Ihres Vortrags
beim TMF-Jahreskongress sein?
Die Herausforderungen des demographischen Wandels für
das Gesundheitssystem sind nur mit Einbindung der Universitätsmedizin zu
bewältigen. Dafür ist eine gute
Ausstattung der medizinischen Fakultäten mit moderner Forschungsinfrastruktur unabdingbar.
Herr Professor Kroemer, wir danken für das Gespräch!
Das Interview führte Beate Achilles.
Zur Person
Professor
Dr. Heyo K. Kroemer ist Präsident des Medizinischen Fakultätentages und Dekan
der Medizinischen Fakultät der Universitätsmedizin Göttingen.
Weiterführende Informationen
- TMF-News: Interview mit Dr. Siegfried Throm (vfa) zur Bedeutung von Forschungsinfrastrukturen für die Arzneimittelentwicklung in Deutschland
- TMF-Jahreskongress 2014 | 02.-03. April 2014 | Jena: Programm und Anmeldung
- TMF School 2014
- Medizinischer Fakultätentag
- Deutsches Ärzteblatt | 31.01.2014 | Hochschulmedizin: Forschung braucht Infrastrukturen (Download des Artikels im PDF-Format)
-
DFG-Informationsportal zu Forschungsinfrastrukturen
- DFG-Förderprogramm „Informationsinfrastrukturen für Forschungsdaten“
-
Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Weiterentwicklung der wissenschaftlichenInformationsinfrastrukturen in Deutschland bis 2020