„Ein pragmatischer Ansatz für die Nutzung von Standards“
Interview mit Prof. Dr. Björn Bergh zur jetzt vereinbarten Kooperation zwischen TMF und IHE Deutschland
Prof. Dr. Björn Bergh
Juni 2014. Die TMF
und IHE Deutschland haben vereinbart, künftig intensiver zusammenzuarbeiten.
Unter anderem wird die Geschäftsstelle von IHE Deutschland bei der TMF
angesiedelt. „Die TMF hat alle Strukturen, die IHE für den Community-Prozess
sowohl in der Vermittlung als auch in der Identifizierung von Lücken benötigt.
Für die TMF bietet sich die Chance, dass Standards in den Lösungen nicht nur
punktuell, sondern strategisch und übergreifend genutzt werden.“ Dies erläutert
der Vorsitzende von IHE Deutschland Prof. Dr. Björn Bergh, der auch Mitglied
des Vorstands der TMF ist.
Herr Professor Bergh, was ist IHE?
Im Gesundheitsbereich gibt es viele Standards, das
Problem ist aber, dass es zu viele sind und dass sich die klinischen Anwender
darin kaum zurechtfinden und nur schwer eine sinnvolle Auswahl treffen können.
Hier setzt IHE an. Basierend auf klar definierten Anforderungen der Anwender –
den klinischen Abläufen – sucht IHE Elemente aus vorhandenen Standards – zum
Beispiel HL7 oder CDISC oder anderen – heraus und beschreibt die Umsetzung in
so genannten Integrationsprofilen. IHE ist damit also nicht selbst eine
Standardisierungsorganisation, sondern eher eine Metainitiative. Der Vorteil
ist, dass IHE damit sehr schnell ist, weil eben nicht ein kompletter
Standardisierungsprozess durch verschiedene Gremien und
Normierungsinstitutionen laufen muss.
Die Abstimmung funktioniert in einem dreistufigen Prozess:
Erstens die Definition der relevanten Abläufe und Aufgaben durch die Anwender,
zweitens die Prüfung der vorhandenen Standards durch die Techniker und
Hersteller, die dann für jeden der Ablaufschritte definieren, welcher Teil aus
welchem Standard – das können auch mehrere sein, die alternativ vorgeschlagen
werden – vorgegeben wird. Der dritte Teil ist die Verbreitung, und da sind
insbesondere die Connectathons zu nennen, sozusagen große „LAN-Parties“, wo in
riesengroßen Hallen alle Hersteller miteinander testen und von unabhängigen
Monitoren geprüft werden, ob ihre Produkte standardkonform sind oder nicht.
IHE ist eine internationale Organisation, was sind spezifische Anliegen und
Aktivitäten von IHE Deutschland?
IHE ist in drei Stufen organisiert – Länder,
Regionen, Welt –, jeweils mit einer Vertretung nach oben und mit entsprechendem
Stimmrecht. Theoretisch ist IHE International für die reine Standardisierung
zuständig, während die Länderorganisationen eher die Verbreitung und Umsetzung
der Standards befördern. Heute ist es aber so, dass auch die Länder Profile erarbeiten,
die dann auf internationaler Ebene aufgegriffen werden.
Bei IHE Deutschland nehmen wir uns in jedem Jahr ein bis
zwei Themen vor, die wir strategisch bearbeiten. Auf diese Weise haben wir
beispielsweise das „Cookbook“ für einrichtungsübergreifende Aktensysteme erarbeitet,
also dargestellt, wie IHE-Standards in Deutschland für
einrichtungsübergreifende Patientenakten genutzt werden können. Für dieses Jahr
haben wir zum einen das Thema Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) ausgewählt,
für das wir eventuell ein weiteres Kochbuch erarbeiten wollen. Zum anderen
wollen wir beginnen, die Grundelemente zu definieren, die für die Forschung
gebraucht werden. Deshalb passt die jetzt vereinbarte Kooperation mit der TMF
auch sehr gut.
Welche Bedeutung können die IHE-Standards denn für die medizinische
Forschung haben?
Gerade in der Verbundforschung sollen ja Datensammlungen
über Einrichtungen hinweg verbunden werden, da wäre es zum Beispiel hilfreich,
wenn der Datenspeicher standardisiert wäre – und da könnte man den Standard
verwenden, den IHE für die einrichtungsübergreifende Versorgungsakte definiert
hat. Ein anderes Beispiel sind die Case Report Forms (CRFs), bei denen bisher
nicht standardisiert ist, wie sie aufgebaut sind, welche Inhalte darin sind und
wie sie kommuniziert werden können. Wenn ein Forschungsverbund 50 Datenfelder
mit 27 Merkmalen hat, kann er schauen, was es bei IHE Forschung schon gibt.
Vielleicht findet er 30 Definitionen, die er übernehmen kann, so dass dann
vielleicht nur noch die verbleibenden 20 für Deutschland definiert werden
müssten.
Das Gute ist, dass der Standard offen und
herstellerunabhängig ist. Das gibt Investitionssicherheit, da Kompatibilität
gewährleistet ist, egal welche Studie künftig kommt. Da IHE vorhandene Elemente
aus ganz verschiedenen Standards nutzt, ist der Ansatz auch sehr pragmatisch
und vermeidet weltanschauliche Diskussionen.
Wie schätzen Sie die Kenntnisse und Nutzung der IHE-Standards
in der medizinischen Forschung ein?
Gehört haben viele bereits von IHE, aber wenn es konkret
wird, ist der Kenntnisstand in der Forschung in Deutschland doch eher gering.
Wir müssen jetzt ganz genau zeigen, dass dieser Weg der Standardisierung
funktioniert. Um die Akzeptanz zu steigern, könnte vielleicht eine Blaupause
sinnvoll sein, die am Beispiel großer klinischer Verbundforschungsprojekte
darstellen kann, wie die Abläufe dort offen und standardisiert gemeinsam umsetzbar
sind. Ich bin zum Beispiel davon überzeugt, dass die Inhalte der Deutschen
Zentren der Gesundheitsforschung gut mit IHE-Integrationsprofilen umgesetzt
werden können.
Warum kann gerade die TMF IHE geeignet
unterstützen?
Die TMF vertritt als Dachorganisation die klinische
Anwenderseite. Sie ist das Äquivalent zum bvitg, der die Industrieseite
vertritt. Als Vorsitzender von IHE Deutschland – die Ländervorsitzenden sind
immer Anwender, Industrievertreter haben die Stellvertreterrolle inne – möchte
ich, dass IHE viel stärker Anwender-seitig wahrgenommen und positioniert wird.
Natürlich ist die TMF ursprünglich rein aus der Forschung initiiert worden,
aber wir erleben ja im Moment, dass die Trennung zwischen Forschung und
Versorgung zunehmend weniger Sinn macht und die Grenzen immer mehr verschwimmen.
Die Kooperation mit der TMF wird uns auch helfen,
weil wir als kleiner Verein bisher keine richtige Mitgliederrepräsentanz
etablieren konnten. Die TMF hat alle Strukturen, die man für den
Community-Prozess sowohl in der Vermittlung als auch in der Identifizierung von
Lücken benötigt. Für die TMF und ihre Mitglieder bietet sich damit die Chance,
dass Standards in den gemeinsam erarbeiteten Lösungen nicht nur punktuell,
sondern strategisch und übergreifend genutzt werden. An manchen Ecken fehlt bei
der TMF aus meiner Sicht im Moment das harmonisierende Werkzeug, da könnte die
Kooperation mit IHE eine gute Brücke sein.
Das Interview führte
Antje Schütt.
Prof. Dr. Björn Bergh ist Direktor des
Zentrums für Informations- und Medizintechnik (ZIM) und W3-Professor für
Medizinische Informationssysteme an der Medizinischen Fakultät und am
Universitätsklinikum Heidelberg, Vorsitzender von IHE Deutschland und Mitglied
des Vorstands der TMF.