„Es gibt Standards für Biobanking“
Interview mit Dr. Sara Y. Nußbeck, Universitätsmedizin Göttingen, zu Biobanken-IT
Dr. Sara Y. Nußbeck (Universitätsmedizin Göttingen)
November 2014. „Je
mehr die Probendokumentation und die Anfragen standardisiert sind, desto besser
können sie mit IT unterstützt automatisiert werden,“ erklärt Dr. Sara Y.
Nußbeck (Universitätsmedizin Göttingen), die sich schwerpunktmäßig mit dem
Thema IT für Biobanken beschäftigt und ihre Expertise in der TMF sowohl in der
AG Biomaterialbanken als auch im IT-Reviewing-Board einbringt.
Frau Dr. Nußbeck, Biobanken spielen in der medizinischen Forschung eine
immer größere Rolle. Ohne eine professionelle IT-Unterstützung können sie heute
kaum noch betrieben werden. Warum ist das so?
Ohne IT-Unterstützung geht es nicht, weil man in einer
Biobank – neben den Proben – eine riesige Menge an Datensätzen hat. Das sind
zum einen Daten, die die Probe beschreiben, zum anderen auch klinische
Informationen des Spenders. Das gilt sowohl für populationsbasierte Biobanken
wie die UK Biobank oder künftig auch bei der Nationalen Kohorte als auch bei
einer Biobank im Krankenhausumfeld. Gerade wenn eine Biobank wirklich große
Mengen an Proben hat und ich als Forscher gezielt nach etwas suchen möchte,
dann möchte ich natürlich nicht Karteikarten oder Exceltabellen durchblättern,
sondern möchte mit einem Suchbefehl eine gute Trefferliste bekommen, möglichst
mit einer genauen Charakterisierung der Proben und Hinweisen oder Möglichkeiten,
wie ich an die Proben herankomme.
Wissen Sie, welche Software-Produkte hier eingesetzt werden?
Aufgrund einer Umfrage, die wir im vergangenen Jahr
im Rahmen des IT-Reports der TMF gemacht haben und die wir gerade aktualisieren,
wissen wir, dass sich in Deutschland das Gros der Biobanken zwischen den
Systemen Starlims und Centraxx teilt. Wir schätzen, dass aktuell bereits etwa 65
Prozent der Biobanken eine kommerzielle Verwaltungssoftware einsetzen. Von
denjenigen, die momentan noch eine Eigenlösung verwenden, plant etwa die Hälfte
ebenfalls, auf eine kommerzielle Software umzuschwenken. Das ist auch klar,
wenn man bedenkt, wie unterschiedlich und komplex die Anforderungen an die
Funktionalitäten einer solchen Software sind, so dass Eigenimplementierungen
das gar nicht komplett abdecken können.
Wie erklären Sie sich diesen Trend zur kommerziellen Biobanksoftware?
Man muss ja den kompletten Workflow abbilden von der
Probengewinnung über die Registrierung, Verarbeitung, Einlagerung und
Charakterisierung für die Suche, die Arbeitsschritte für die Ethik-Freigabe bis
hin zur Abrechnung der Leistungen, die in der Biobank erbracht werden, und den
Versand der Proben. Jemand, der sich mit der Materie nicht sehr genau auskennt,
kann das gar nicht alles von Anfang an überblicken. Die Produkte, die wir
mittlerweile am Markt haben, sind in den unterschiedlichen Bereichen eigentlich
schon sehr ausgereift, so dass die höheren Investitionskosten sicher gut
eingesetzt sind. Letztendlich hängt die Entscheidung aber immer auch daran, wie
viel IT-Support an einem Standort vorhanden ist und wie sehr die Biobank in
vorhandene IT-Infrastrukturen eingebunden werden soll.
Welche Komponenten gehören denn zu einer IT-Architektur für Biobanken?
Eine Probe wird ja umso wertvoller, je mehr
Informationen zum jeweiligen Spender verfügbar sind. Das können klinische
Informationen über die Grunderkrankung des Spenders sein, Bildinformationen wie
MRTs aus einem PACS oder auch Blutwerte aus dem Laborinformationssystem. Gerade
wenn es sich um Gewebeproben handelt, können auch die Daten aus einem
Pathologiesystem aufschlussreich sein, zum Beispiel der TNM-Status von
Tumorproben. Das ist sehr breit gefächert, und alle diese Systeme muss ich in
die Biobank IT-Architektur einbinden. Die Frage ist dann, wie die ganze
Systemlandschaft aufgebaut ist, um beispielsweise den Abfrage-Workflow zu
organisieren. Wie die jeweilige Architektur aussehen muss, hängt natürlich
immer auch vom Konzept der jeweiligen Biobank ab.
Haben Sie einen Überblick darüber, wer diese Management-Software an den
wissenschaftlichen Einrichtungen pflegt und betreibt?
Das ist eine gute Frage. Eine richtige Übersicht habe ich
nicht. Ich weiß, dass an den Biobank-Standorten teilweise IT-Personal extra
eingestellt wurde, mindestens einer, meist zwei Mitarbeiter, die sich speziell
um die IT kümmern. Es gibt aber auch Standorte wie Erlangen oder Göttingen, bei
denen ein großes Medizininformatik-Institut dahintersteht. Dort setzen sich
dann mehr Leute mit der kompletten Studieninfrastruktur auseinander; die
Biobank ist dann eine Komponente davon. Wie ein Projekt das anlegt, hängt immer
auch davon ab, wie sehr die Leitungsebene sozusagen „IT-durchdrungen“ ist:
Macht sich da jemand wirklich Gedanken über die Infrastruktur? Sonst muss man
im Endeffekt häufig mit den Konsequenzen leben und sehen, wie man die Daten
dann später irgendwie zusammenführen kann. Je früher IT-Kompetenz eingebunden
wird, desto einfacher ist letztendlich die Integration.
Die Nutzer der Systeme sind aber eher keine IT-Leute...
Genau. Ich sehe drei Hauptgruppen:
Das Biobank-Personal, das mit den Proben direkt arbeitet und
für deren Lagerung und Aufbereitung zuständig ist. Die sollten auf jeden Fall
Schulungen erhalten, um mit der Software umgehen zu können. Hier können gerade
auch die zentralen Biobanken, die derzeit an den Universitätsstandorten
aufgebaut werden, Unterstützung leisten und die Abteilungen und Institute
beraten – zum sinnvollsten Vorgehen, zur Dokumentation oder dazu, wie man die
Lagerstruktur eines Kühlschranks in einem IT-System abbildet.
Die zweite Gruppe ist das Pflegepersonal: Die flüssigen Proben
werden beispielsweise im Krankenhaus auf einer Station gewonnen, und das
Pflegepersonal dort muss die Dokumentation im System zumindest irgendwie
anstoßen.
Und dann gibt es natürlich die anfragenden Forscher, die
eine bestimmte Forschungsfragestellung haben und dafür Proben mit einer
bestimmten Charakterisierung benötigen. Die brauchen eine gute Suchfunktion,
wobei sie nach den TMF-Datenschutzkonzepten gar nicht direkt in der
Biomaterialverwaltung suchen würden, sondern eher in einem übergeordneten
System, in dem die Informationen aus den einzelnen Subsystemen – also
beispielsweise klinische Annotationen, Bildinformationen und
Probeninformationen – zusammenlaufen. Je nach Berechtigung gemäß Datenschutzkonzept
dürfte der Forscher dann entweder nur ganz abstrakt in den Metadaten suchen
oder bis auf die Probenebene hinunter gehen.
Welche Standards sind nötig, damit die IT-Systeme interoperabel sind?
Es wäre natürlich schön, wenn alle Daten, die irgendwie im
Zusammenhang mit Biobanken stehen genau einen Standard hätten. Denn wenn ich
mehrere Standards habe, muss ich natürlich zwischen diesen unterschiedlichen
Standards mappen.
Für die präanalytischen Faktoren gibt es den sogenannten SPREC, den ‚Sample Preanalytical
Code‘, der 2010 von der ISBER-Arbeitsgruppe Biospecimen Science um Fay Betsou
entwickelt wurde. Dieser Code beschreibt, wie zum Beispiel
Zentrifugationszeiten, Geschwindigkeit, Temperatur oder Lagerzeiten zwischen
Zentrifugationsschritten dokumentiert werden sollten, um später eine Aussage
über die Qualität der einzelnen Proben machen zu können.
Darüber hinaus gibt es BRISQ. Dieses ‚Biospecimen Reporting
for Improved Study Quality‘ wird in einem Paper beschrieben, das 2011 von Moore
et al. vom National Cancer Institute publiziert wurde. Ich würde das schon als
Standard bezeichnen, auch wenn nicht genau vorgegeben ist, wie man die
einzelnen Felder dokumentieren soll. Hier wird vorgeschlagen, dass man beim
Einreichen eines Manuskriptes, in dem Forschungsergebnisse enthalten sind, die
auf Biomaterialien beruhen, bei einer Fachzeitschrift bestimmte Angaben zu den
Proben und den Spendern macht. Durch diese grobe Klassifizierung und
Charakterisierung erhalten andere Forscher und die Gutachter des Manuskripts zumindest
einen groben Anhaltspunkt dazu, was als Forschungsgrundlage verwendet wurde.
Ein Problem hierbei ist allerdings noch, dass nicht genau vorgegeben ist, wie
die klinischen Informationen kodiert werden sollen.
In der europäischen Biobanken-Infrastruktur BBMRI gibt es
außerdem noch den Ansatz von MIABIS, bei dem es mehr darum geht,
unterschiedliche Kohorten oder Studiengruppen zu beschreiben. Wenn ein anderer
Forscher das interessant findet, kann er die jeweilige Biobank kontaktieren und
nachfragen, welche Proben hier konkret vorhanden sind. Das liegt also auf einem
sehr abstrahierten Level.
Je mehr die Probendokumentation und die Anfragen
standardisiert sind, desto besser können sie natürlich mit IT unterstützt und der
Suchvorgang wirklich automatisiert werden. Und das ist einfacher, wenn man sich
von vornherein auf Standards einigt, die dann alle einhalten. Wenn erst mal
alle zehn Jahre lang gemacht haben, was sie für richtig halten, wird es nachher
sehr aufwändig sein, das eine auf das andere zu übertragen.
Wie ist Ihre Einschätzung für den Einsatz der Standardisierung derzeit in
den Biobanken?
Wir haben diese Frage letztes Jahr auch auf der europäischen
Biobanken-Konferenz gestellt, wo 200 Leute im Publikum waren. Ich kann nicht
einschätzen, wie viele davon Kliniker und wie viele Biobanker waren. Ich habe
aber den Eindruck, dass viele Wissenschaftler überhaupt noch nicht wissen, dass
es entsprechende Standards bereits gibt. Das reicht von der Probenentnahme über
die Standards, die ich eben genannt habe, bis zur Analyse. Es gibt zum Beispiel
Standards dafür, wie man eine DNA-Sequenzierung mit Metadaten beschreibt, aber im
Labor haben viele Leute davon noch nie etwas gehört, weil sie sich nicht
unbedingt mit dem Management ihrer Daten auseinandersetzen. Hier müssten
Kliniker und Medizininformatiker näher zusammenrücken und sich mehr
austauschen. Es sollten auch entsprechende Fortbildungsmaßnahmen angeboten
werden, um die Standards publik zu machen. Denn nur wenn sie bekannt sind,
können sie auch verwendet werden.
Sie planen auch eine IT-Session auf dem Nationalen Biobanken-Symposium im
Dezember in Berlin...
Richtig. Im Programmkomitee haben wir hierfür einerseits
Beiträge ausgewählt, die meinungsbildend sind: also ein Vorreiter, der
vorstellt, wie bei einer funktionierenden Biobank die IT-Unterstützung aussehen
kann. Andere Beiträge werden aber auch denen, die mit ihrer IT für die Biobank eher
am Anfang stehen, Hilfestellung beispielsweise für den Auswahlprozess für eine
Biobank-Software geben. Wir hatten viele sehr interessante Einreichungen, und
es ist uns sehr schwer gefallen, davon vier Beiträge für die etwa einstündige
Session auszuwählen. Ich bin schon sehr gespannt, was wir da noch lernen
werden!
Frau Dr. Nußbeck, wir bedanken uns für das Gespräch
Dr. Sara Y. Nußbeck ist Leiterin der AG CIOffice
Forschungsnetze im Institut für Medizinische Informatik der Universitätsmedizin
Göttingen.
Das Interview führte
Antje Schütt. Eine Kurzfassung des Interviews erscheint auch in der Zeitschrift
E-Health-Com 5|2014.