„In der Nutzung von Informationstechnologie liegen wir weit zurück“
Interview mit Prof. Dr. Otto Rienhoff zum neu erschienenen Handbuch zu Terminologien und Ordnungssystemen in der Medizin.
Prof. Dr. Otto Rienhoff
Oktober 2015. Die
Notwendigkeit, Daten über die Grenzen individueller IT-Systeme hinweg
auszutauschen und zu nutzen, stellt die Patientenversorgung und die
medizinische Forschung gleichermaßen vor große Herausforderungen. Dieser Austausch sollte bestenfalls standardisiert
erfolgen, um Missverständnisse und Fehler zu vermeiden. Prof. Dr. Otto Rienhoff,
Mitherausgeber des jetzt in der TMF-Schriftenreihe erschienenen Buches zu
Terminologien und Ordnungssystemen in der Medizin, erläutert im Interview,
warum eine semantische Standardisierung wichtig ist, wo Deutschland im
internationalen Vergleich steht und welche Empfehlungen die beteiligten
Experten für die Standardisierung im Gesundheitswesen der deutschsprachigen
Länder geben.
Eine Kurzfassung des Interviews erscheint in der Zeitschrift E-Health-Com 6/2015.
Herr Professor Rienhoff, Sie sind Mitherausgeber
des Buches. Warum ist eine semantische Standardisierung in der Medizin wichtig?
In der Medizin müssen Daten zwischen verschiedenen
IT-Systemen ausgetauscht werden. Dies gilt für die Kommunikation der Daten
genauso wie für deren inhaltliche Bewertung. Wenn diese Kommunikation nicht
standardisiert erfolgt, kann es angesichts der Komplexität der individualisierten
Medizin in Forschung, Lehre und Krankenversorgung zu erheblichen
Missverständnissen und Fehlern kommen.
Wo steht Deutschland im internationalen Vergleich?
Das Thema der Terminologien und Ordnungssysteme in der
Medizin wurde in der Vergangenheit vernachlässigt. So lernen beispielsweise
Ärzte während ihrer Ausbildung keine Regeln für eine standardisierte problemorientierte
Dokumentation. Außerdem haben Rechtstreitigkeiten bis heute zu Dauerfrust bei
vielen Akteuren geführt. Nicht zuletzt deshalb liegt das deutsche Gesundheitswesen
bezüglich der Nutzung von Informationstechnologie weit hinter den nordischen
und nordamerikanischen Staaten sowie etlichen Ländern Asiens zurück.
Sie haben das Thema mit einer Expertengruppe für das Gesundheitsministerium
beleuchtet. Wie sind Sie vorgegangen?
Wir haben zunächst zwei Workshops mit
vielen Akteuren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz durchgeführt.
Anhand dreier ausgewählter Anwendungsszenarien wurde der Stand der Nutzung von
Terminologien im deutschsprachigen Raum untersucht. Im Rahmen mehrerer
Expertenworkshops wurden anschließend Empfehlungen zu internationalen
Terminologien erarbeitet und darüber hinaus überlegt, wie mögliche
Kooperationen der Länder im deutschsprachigen Raum aussehen könnten. Die
Ergebnisse sind in einem zusammenfassenden Bericht aufgearbeitet worden. In dem
Buch haben wir den Bericht um die wichtigsten fachlichen
Hintergrundinformationen zu einzelnen Themen und Terminologiesystemen
ergänzt, so dass es eine aktuelle Bestandaufnahme für die deutschsprachigen
Länder liefert.
Welche Empfehlungen geben die Experten?
Die wichtigste Message ist, zügig aber schrittweise und in
enger Abstimmung mit den anderen deutschsprachigen Ländern vorzugehen. Es
werden Organisationsansätze vorgeschlagen, die Abhängigkeiten vom DIMDI oder
der Industrie vermeiden und stattdessen die Stärken beider Seiten befördern sollen.
Außerdem sind Investitionen der öffentlichen Hand notwendig, die abgestimmt
über die Ministerien für Gesundheit, Forschung und Wirtschaft eingesetzt werden
müssen.
Weitere Informationen
- Informationen zum Sammelband "Terminologien und Ordnungssysteme in der Medizin" in der TMF-Schriftenreihe
- Pressemitteilung zum Sammelband "Terminologien und Ordnungssysteme in der Medizin"
- Projekt "Terminologie-Vorstudie D-A-CH" (D060-01)
Prof. Dr. Otto Rienhoff ist Direktor des Instituts für
Medizinische Informatik der Universität Göttingen und Vorsitzender des Rats für
Informationsinfrastrukturen.
Das Interview führte Inger Neick.