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Neustart mit Schwerpunktsetzung

Gespräch mit Sebastian C. Semler (TMF), Dr. Günter Steyer (DGG) und Dr. Carl Dujat (BVMI) zur Neuausrichtung der TELEMED

September 2009. Als die älteste jährlich ausgerichtete eHealth-Fachveranstaltung Deutschlands hat sich die TELEMED in diesem Jahr nicht nur organisatorisch neu aufgestellt, sondern auch thematisch. Die Vertreter der neuen Organisationsgesellschaft sagen, wie. Gespräch mit Sebastian C. Semler (TMF, Dr. Günter Steyer (DGG) und Dr. Carl Dujat (BVMI) in der Zeitschrift E-Health-COM.

Das Interview erschien als Titelgeschichte in der E-Health-Com Nr. 5 | 2009. Das Gespräch führten Hans Peter Bröckerhoff und Philipp Grätzel von Grätz (E-Health-COM). Die TMF bedankt sich bei der E-Health-COM-Redaktion für die Erlaubnis, das Interview im News-Portal vollständig wiedergeben zu dürfen.

 

Der thematische Schwerpunkt der nächsten TELEMED lautet „Telemedizinische Zentren und Services – Steht der Einstieg in die Regelversorgung bevor?“. Ist dieser Punkt jetzt wirklich erreicht?

Carl Dujat: Es gibt in der Tat erste positive Anzeichen. Denken Sie an die Fernabfrage von Schrittmachern und Defibrillatoren, die sich gerade auf breiter Front durchsetzt. Denken Sie an die Teleradiologie. Die macht heute fast jedes zweite Krankenhaus. Auch die telemedizinischen Schlaganfallstationen sind in vielen Häusern Standard.

Günter Steyer: Diese ganze Entwicklung können Sie übrigens auch an den Inhalten der TELEMED nachvollziehen. Die Teleradiologie war in der Vergangenheit ein wichtiges TELEMED-Thema. Schlaganfallstationen, Fernabfrage, das alles haben wir auf der TELEMED schon früh diskutiert. Aus Erfahrungsberichten wurden Pilotprojekte, aus Pilotprojekten produktive Anwendungen. Und je mehr sich der Fokus in diese Richtung verschoben hat, um so wichtiger wurden anwendungsnahe Fragen wie etwa Kosten-Nutzen-Aspekte. Heute sind gesundheitsökonomische Analysen ein wichtiger Bestandteil der TELEMED. Das zeigt schon, dass es in Richtung Regelversorgung geht…

Sebastian C. Semler: Man muss aber auch sagen, dass wir in vielen Bereichen und speziell im ambulanten Sektor noch nicht so weit sind. Es gibt immer noch zu viele Einzelprojekte, zu viele Verträge mit einzelnen Krankenkassen. Eine reguläre Vergütung, etwa für das Telemonitoring, gibt es noch nicht. Aber das kann und soll sich ändern. Wir hoffen zum Beispiel, dass die Ergebnisse der Partnership for the Heart-Studie den Weg zeigen werden, wie wir beim Thema Herzinsuffizienz-Telemonitoring aus der Projektphase in die Regelversorgung kommen. Die Fortschritte dieser Studie werden im Oktober sicher ein Thema sein. Klar ist: Nötig sind heute große Studien mit patientenrelevanten Endpunkten und einer soliden gesundheitsökonomischen Analyse. Die Zeiten der Ministudien mit zwölf Patienten ohne Kontrollgruppe sind vorbei. Technikverliebtheit alleine reicht nicht, wenn es darumgeht, in die Regelversorgung zu kommen.

Dujat: Die Rahmenbedingungen sind in jedem Fall günstig. Im Gesundheitswesen bilden sich immer mehr Kooperationen, oft auf Initiative von Krankenhäusern, die sich mit anderen Einrichtungen und auch mit niedergelassenen Ärzten vernetzen. In vielen Fällen schreit das geradezu nach Telemedizin. Wir brauchen telemedizinische Anwendungen, um eine integrierte, kooperative Versorgung über räumliche
Entfernungen hinweg umzusetzen.


Gute Daten verschaffen nicht automatisch politisches Gehör. Auch wenn einige Großstudien exakt die Daten liefern würden, die sich alle erhoffen, bräuchte es immer noch jemanden, der zum Gemeinsamen Bundesausschuss geht und dort den Antrag einreicht. Ist die deutsche Telemedizinszene gut genug politisch vernetzt?

Semler: Da wäre ich jetzt vorsichtig. Wir organisieren eine Tagung und bieten damit ein Forum für den Austausch. Es ist sicher nicht Aufgabe der TELEMED, den Markt aufzubereiten. Das müssen die Interessenvertreter schon selbst machen.

Dujat: Ich denke, dass es in Deutschland bisher in der Tat nicht gelungen ist, bei IT-getriebenen Themen so weit vorzustoßen, diese Dinge auch in ihrer politischen Entwicklung und in ihren rechtlichen Rahmenbedingungenwirklich beeinflussen zu können. Das ist nicht spezifisch für die Telemedizin. Bei der Novelle des Medizinproduktegesetzes ist das ganz ähnlich. Insofern würde ich den leichten Kritikpunkt, den ich bei der Frage durchhöre, durchaus akzeptieren. Da fehlt es noch etwas an der gemeinsamen Stoßrichtung, am gemeinsamen Blick. Das zeigt sich ja indirekt auch an der Vielzahl der Verbände undVeranstaltungen. Es gibt also auch aus dieser Sicht gute Gründe, sich zusammenzuschließen, wie wir das bei der TELEMED jetzt ja tun. Ob das am Ende für echten politischen Einfluss ausreicht, ist eine andere Frage.


Die TELEMED wird sich in diesem Jahr in ganz neuem Gewande präsentieren. Warum dieser Relaunch?

Steyer: Es bedurfte letztlich einer neuen organisatorischen Form, um sich im Konzert der mittlerweile vielfältigen Veranstaltungen angemessen zu behaupten. Die TELEMED ist ja im Jahr 1996 entstanden aus einer Weiterbildungsveranstaltung der Landesvertretung Berlin-Brandenburg des Berufsverbandes Medizinischer Informatiker e.V. (BVMI). Das war für die damalige Zeit ein sehr innovatives Thema. Die Veranstaltung fand guten Anklang, und so ist dann eine jährliche Veranstaltungsreihe daraus geworden.

Semler: Die Gründerjahre, die Günter Steyer beschreibt, sind heute natürlich vorbei. Es gibt fast wöchentlich irgendwelche eHealth-Veranstaltungen. Um sich da abzuheben, müssen wir sowohl wissenschaftlichen Inhalt als auch politische und praktische Relevanz bieten. Diesen Anspruch durchzuhalten, erfordert heute eine andere Organisationsform und einen anderen finanziellen Rahmen als noch vor ein paar Jahren. Ein Telemedizinforum, das waren 1996 hundert Leute. Heute brauchen Sie vierhundert, um den Anspruch zu erfüllen, die relevanten Experten zu versammeln.
Das ist mit höheren Kosten und mit höherem Risiko verbunden. Vor allem deswegen haben sich BVMI, DGG und TMF jetzt entschieden, die Organisation gemeinsam in die Hand zu nehmen, ergänzt durch einen hochkarätigen Fachbeirat, über den sich die Wissenschaft einbringt.


Worin unterscheidet sich die neue TELEMED von all den anderen Veranstaltungen, die Sie angesprochen haben? Was ist Ihr „Unique Selling Point“?

Semler: Es gibt zwei USP, wenn wir das so bezeichnen wollen. Erstens ist die TELEMED die letzte verbliebene Veranstaltung, die zum Thema Gesundheitstelematik tatsächlich einen wissenschaftlichen Call for Papers durchführt und die eingereichten Beiträge einem strengen Review-Prozess unterwirft. Vor allem für den wissenschaftlichen Nachwuchs ist das wichtig. Zweitens haben wir weiterhin den Anspruch, das Forum zu sein, bei dem man sich einmal im Jahr über alle grundsätzlich wichtigen Neuigkeiten im Bereich Telemedizin informiert. Wir können heute nicht mehr alle Projekte vorstellen, die es gibt, aber doch über die wichtigsten Schritte aus den wichtigsten Projekten angemessen breit informieren. Diese beiden Punkte lassen uns glauben, dass die TELEMED nötig ist und ihre Existenzberechtigung hat.

Dujat: Inhaltlich gehen wir in diesem Jahr in einigen wesentlichen Punkten über die vergangenen Jahre hinaus. Die Leitthemen des Programms enthalten zum Beispiel Finanzierung und Erlöse aus Telemedizinprojekten, aber auch die Einbindung von Medizinprodukten. Daran erkennt man schon, dass es nicht mehr nur um reine Wissenschaft geht, sondern umpraktische Relevanz. Wir bewegen uns weg vom Projekt hin zum Produkt, wenn man so will, halten dabei aber den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit aufrecht.


Wie könnten denn die relevanten Akteure aus der Selbstverwaltung stärker ins Boot geholt werden, auch und gerade mit Blick auf die TELEMED? Krankenkassen und Ärzte tun sich mit demThema ja noch immer schwer…

Dujat: Ich komme da nochmal auf unsere Themenschwerpunkte zurück. Wenn es uns gelingt, bei Themen wie Ökonomie, Wirtschaftlichkeit, Kostensenkung oder Transparenz zu vernünftigen Aussagen zu kommen und auf entsprechende Projektergebnisse zu verweisen, dann werden viele Akteure aufspringen. Diese Themen interessieren gerade die Kostenträger stark. Bei den niedergelassenen Ärzten sieht es etwas anders aus: Hier gibt es viele, die Telemedizin heute schon praktizieren und sagen: „Das ist super, das machen wir.“ Für andere ist das Thema dagegen immer noch angstbesetzt. Da ist die Politik aufgerufen, diese Ängste zu nehmen.

Steyer: Die konkrete Einbindung von Akteuren der Selbstverwaltung in die TELEMED haben wir auch in der Vergangenheit immerwieder versucht, sowohl im Steuerungskomitee, als auch auf dem Podium. Trotzdem ist uns die Einbindung der Selbstverwaltung bisher sicher nicht immer so gut gelungen, wie wir es uns gewünscht hatten und wie wir es jetzt in der neuen Konstellation glauben, erreichen zu können.

Semler: Ganz konkret haben wir in diesem Jahr beispielsweise eine hoch politische Keynote im Programm, die den zunehmenden Ärztemangel in einigen deutschen Flächenländern thematisiert. Diese „Skandinavisierung“ macht telemedizinische Versorgungselemente schneller zwingend notwendig, als mancher Experte vor wenigen
Jahren vorausgesehen hat. Mittlerweile gibt es auch von mehreren Landesregierungen
so etwas wie Telemedizinstrategien. Das sind Dinge, auf die früher oder später auch die KassenärztlichenVereinigungen und der GBA reagieren müssen.


Ein abschließendes Wort zum künftigen Stellenwert der TELEMED?

Dujat: Für den BVMI kann ich sagen, dass die conhIT im Frühjahr und die TELEMED im Herbst für uns die beiden zentralen Veranstaltungen sind. Ich möchte auch betonen, dass die TELEMED in Berlin bleibt. Der Ausflug nach Heidelberg im letzten Jahr war eine Ausnahme.

Steyer: Unsere beiden Hauptveranstaltungen sind die TELEMED und die TeleHealth. Wichtig ist mir auch, dass die TELEMED bei allerNeuorientierung wiedererkennbar bleibt. So werden wir beispielsweise die Tradition der TELEMED-Preise für den besten Vortrag und die beste Kurzdarstellung (Posterpreis) beibehalten.

Semler: Aus Sicht der TMF ist vor allem wichtig, dass der wissenschaftliche Anspruch bei gleichzeitigem Praxisbezug erkennbar und erhalten bleibt. Wir glauben auch, dass die Telemedizin eines der Elemente ist, die die in den letzten Jahren doch deutlich auseinander driftenden IT-Landschaften von biomedizinischer Forschung und medizinischer Versorgung langfristig wieder zusammenführen können. Das ist ja auch ein Kernanliegen der TMF, und die TELEMED als Forum für Wissenschaftler und Praktiker kann da ihren Beitrag leisten.

  1. www.telemed-berlin.de
  2. Download des Interviews "Neustart mit Schwerpunktsetzung", E-Health-Com Nr. 5 | 2009 [pdf | 201 kb]

 



Gesprächsrunde zur Neuausrichtung der TELEMED. V.l.n.r.: Hans-Peter Bröckerhoff (E-Health-Com), Dr. Carl Dujat (BVMI), Sebastian C. Semler (TMF), Dr. Günter Steyer (DGG), Philipp Grätzel von Grätz (E-Health-Com).

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